Wann finden Mitarbeitende die besten Ideen im Job? Spontane Antworten darauf lauten häufig „Zeit zum Nachdenken“, „Kreative Raumgestaltung“ oder „Keine Ablenkung“. Die IQudo-Studie 3.0 zeigt allerdings, dass andere Gründe wie Verhaltensfreiheit viel wichtiger sind.
Fast 2/3 der befragten Mercedes-Benz Ingenieure sind am Arbeitsplatz nicht kreativ
Im Zeitalter der künstlichen Intelligenz ist die menschliche Kreativität entscheidend. Ohne die Kreativität der Mitarbeiter gibt es keine Innovation. Aber laut IQudo Ideenfindungsstudie 3.0 sind fast zwei Drittel der 155 befragten Ingenieure der Daimler AG am Arbeitsplatz nicht kreativ. Als Gründe dafür nennen die “job-unkreativen” Ingenieure des Mercedes-Benz-Centers in Sindelfingen: “Keine Zeit”, “Zu viele Ablenkungen” und “Mangelnde Raumgestaltung”.
Verhaltensfreiheit toppt Raumgestaltung
Ganz anders jedoch die “job-kreativen” Ingenieure – immerhin mehr als jeder Dritte. So zeigte die valide IQudo-Studie, dass die Raumgestaltung überhaupt keine Rolle für Einfallsreichtum spielt. Kein Einziger der Mercedes-Benz Ingenieure kreuzte die Raumgestaltung an. Eine kleine Sensation! Zumal Tina Seelig, Professorin an der Stanford University in 2012 die These aufgestellt hatte, dass kreative Räume zu kreativer Arbeit führen würde (“Creative spaces lead to creative work!”).
Auch Zeit zum Nachdenken, in der am Karlsruher Institut für Technologie betreuten IQudo-Studie, landete mit nur 10 Prozent der Nennungen auf dem vorletzten Platz. Interessant jedoch ist die Verhaltensfreiheit. Sie schaffte es auf Anhieb auf den vierten Platz in der von Tobias Kind durchgeführten Masterarbeit.
Verhaltensfreiheit fördert kreatives Denken
Warum schneidet die Raumgestaltung für kreatives Denken so schlecht ab, bzw. warum fallen andere Faktoren stärker ins Gewicht? Dies könnte daran liegen, dass der Raum, weil gut sichtbar, mit kreativen Ideen assoziiert wird, Verhaltensfreiheit jedoch nicht so prominent ins Auge fällt. Der Raum dient vor allem der Sichtbarmachung einer kulturellen Identität. So standen die weißen Wände und Schreibtische der Werbeagentur Springer & Jacoby (S&J) für Klarheit und hanseatische Schlichtheit. Sofas? Fehlanzeige! Trotz dieser sterilen Raumgestaltung führte die legendäre Hamburger Agentur in den 90er Jahren acht Jahre in Folge das deutsche Kreativranking an. Ein Grund: Verhaltensfreiheit wurde eingeräumt! Ich war damals Art Director bei S&J und bin mit Rollerblades durch die Gänge gedüst.
Verhaltensfreiheit und spielende Kinder
Insbesondere bei spielenden Kindern erkennen wir warum die Raumgestaltung weniger wichtig für Kreativität ist als die Verhaltensfreiheit. Kinder spielen überall Fangen, selbst in einer unterkühlten Abfertigungshalle am Flughafen. Die Kleinen hören aber auf zu spielen, wenn die Eltern sie maßregeln, “Hinsetzen! Still sein!” und damit ihre Verhaltensfreiheit beschneiden.
Verhaltensfreiheit im Silicon Valley
Wieso richten dann Tech-Unternehmen im Silicon Valley ihre Büros mit hippen Möbel wie Iglo-Kabinen und Rutschbahnen ein? Ist das nicht kreativitätsfördernd?
Umgekehrt wird ein Schuh draus. Die Verhaltensfreiheit im Silicon Valley führt dazu, dass man sich die Freiheit nimmt Büros kreativer zu gestalten. Hier lohnt ein Blick in die Entstehungsgeschichte des Silicon Valley. Der Mindset der kalifornischen Entrepreneure fußt auf dem Californian Dreamin’. Dieses hatte seinen Ursprung im Goldrausch von 1848. Die Menschen strömten in Scharen gen Westen und träumten von einem besseren, freien Leben. Ein weiterer Meilenstein war die Hippybewegung der 60er Jahre. Die Blumenkinder standen nicht nur für Frieden, Drogen und Sex, sondern auch für Selbstverwirklichung, Experimentierfreude und eine bessere Welt. Freies Entfalten, ungezwungenes Verhalten und der Traum die Welt zu verändern sind auch heute noch der Innovationsmotor des Valleys. So entstehen Räume, die eher an eine Spielwiese erinnern als an ein Büro. ‘Loosey-goosey’ – lockerlässiges Arbeiten ist das Credo. Wer sich frei verhalten kann, fühlt sich enthemmt und lockert kognitiv starre Denkstrukturen. Eine Rutschbahn im Büro? Warum nicht! Google hat die Verhaltensfreiheit sogar in seinen Unternehmensprinzipien verankert: “You Can Be Serious Without a Suit.”, lautet das Google Prinzip #9.
Während Verhaltensfreiheit im Silicon Valley gelebt wird, bemängelt hierzulande Joe Kaeser das fehlende libertäre Verhalten. So schreibt der Siemens-CEO in einem Tweet 2019: “Wenn ein deutscher Vorstands-Chef proaktiv sein Unternehmen auf die Zukunft ausrichtet, gilt er als ‘pathetisch’ oder ‘philosophisch’. Wenn ein kiffender Kollege in USA von Peterchens Mondfahrt spricht, ist er ein bestaunter Visionär.”
Freies Verhalten dient als Druckablassventil
Sich frei verhalten zu dürfen, tut gut aus zwei Gründen: Erstens können wir durch freies Verhalten mentale Grenzen überwinden. Zweitens hilft das Herumalbern, Druck abzubauen, weil wir unsere Seriösität ablegen und mitunter anfangen zu lachen. Laut einer Studie der Universität Oxford steigt der Endorphin-Spiegel im Körper nach einem Lachanfall an.
Geben Sie Verhaltensfreiheit!
Frei nach Friedrich Schiller: “Geben Sie Gedankenfreiheit!”, sollte das Management Verhaltensfreiheit geben. In Unternehmen, in denen Füße auf dem Tisch oder spontanes lautes Lachen entspannt hingenommen werden, fühlen sich Mitarbeitende ermutigt kreativer zu denken und ungewöhnliche Lösungen hervorzuzaubern. Führungskräfte sollten sich nur darauf konzentrieren die Qualität der kreativen Lösungen zu beurteilen. Zu Beginn eines Dual-Thinking-Workshops sage ich gerne:„Dies hier ist Pippi-Langstrumpf-Land, wir können machen, was wir wollen”. Nach ersten überraschten Gesichtern verlieren die Teilnehmer ihre Schranken im Kopf, öffnen sich für Neues und wechseln in den Experimentiermodus.
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1: Interpersonelle Chemie und deren Einfluss auf die organisationale Kreativität. Kind, Tobias. Masterarbeit, KIT EnTechnon (2016).
2: InGenius: A Crash Course on Creativity. Seelig, Tina (HarperCollins, New York, 2012), 101.
3: Social laughter is correlated with an elevated pain threshold. Dunbar, R. I. M.; Baron, Rebecca; Frangou, Anna; Pearce, Eiluned; van Leeuwen, Edwin J. C.; Stow, Julie; Partridge, Giselle; MacDonald, Ian; Barra, Vincent; van Vugt, Mark. DOI: 10.1098/rspb.2011.1373. (The Royal Society, September 14, 2011).
4: Innovator’s High. Gerlach, Robert. (2017).
Autor: Robert Gerlach, Kreativitätsforscher, Trainer und Gründer von IQudo® sport of ideas.
Wenn Sie mehr über Verhaltensfreiheit wissen möchten und wie Sie diese in ihrerUnternehmenskultur implementieren können, schreiben Sie mir: r(punkt)gerlach(at)iqudo.com